Zu Beginn eines neuen Schuljahrs oder Semesters fragen sich viele Eltern: Ab wann soll mein Kind Geige spielen lernen? Es gibt aber keine allgemein gültige Antwort.

Meilensteine der Entwicklung wie das erste Mal Beikost essen, das Sauberwerden, das Durchschlafen in der Nacht oder die Schulreife kommen bei jedem Kind zu einem anderen Zeitpunkt. So ist es auch mit dem richtigen Zeitpunkt für das Geigenspiel. Ich rate dazu, statt auf das Alter auf die ganz individuellen Zeichen des Kindes zu achten.

Folgende Zeichen können auf sein Interesse für die Geige hindeuten:

• Reagiert es aufgeregt, neugierig, freudig oder sonst irgendwie positiv und emotional, wenn es bei einer Konzertübertragung GeigerInnen zuschaut und zuhört? Hüpft es begeistert, wenn es das Instrument auf einem Plakat sieht? 

• Imitiert es vielleicht beim alltäglichen Spielen im Kinderzimmer die Bewegungen des Violinspiels, die es in einer Konzertaufnahme im Fernsehen oder im Livekonzert gesehen und sich offenbar gemerkt hat?

• Hält seine Konzentration während etwa 20-25 Minuten bei anderen Aktivitäten mehr oder weniger an? Beim Musizieren nach Noten hat man mit Symbolen in der Notation und abstrakten Begriffen, Denkmustern etc. zu tun. So kindgerecht und spielerisch der Unterricht gestaltet ist, braucht ihre Deutung ein gewisses Grad an Aufmerksamkeit. (In vielen Musikschulen dauert die kürzeste Unterrichtseinheit 25 Minuten. Dies ist kein Zufall, denn für viele Kleinkinder ist diese Zeit schon eher an der Obergrenze für die Konzentration.)

• Spielt vielleicht der grosse Bruder oder die Cousine auch Geige und das Kind berichtet davon jemandem voller Sehnsucht? (Dann ist vielleicht ein „Anfänger Schnupperkurs zu zweit“ gar keine schlechte Idee. Für mehr Details hier klicken.) 

• Erzählt es zu Hause begeistert, dass der beste Freund gerade begonnen hat, Geige zu lernen und sagt es vielleicht explizit, dass es Lust dazu hat? (Der„Anfänger Schnupperkurs zu zweit“ könnte hier auch interessant sein. Für mehr Details hier klicken.) 

Sind ein oder mehrere Zeichen am Kind wahrzunehmen? 

• Ist die Antwort Ja? Dann ist es wahrscheinlich ein guter Zeitpunkt, um mit der Geige zu beginnen.

• Ist die Antwort Nein, weil das Kind noch überhaupt nie mit der Violine auf irgendeine Weise in Kontakt gekommen ist und daher kein Bezug da ist? In dem Fall sind Konzertbesuche und Probestunden die besten Möglichkeiten, um herauszufinden, welche Reaktionen durch das Instrument geweckt werden.

• Ist die Antwort Nein? Dann ist es meiner Meinung nach noch zu früh. Musik zu machen ist (auch) für Kinder enorm wichtig und förderlich, daher ist es nur zu begrüßen, wenn die Eltern das initiieren und dahinterstehen! Trotzdem rate ich dazu, mit dem Zeitpunkt des Beginns nicht zu eifrig zu sein und nichts zu übereilen. 

Was kann ein zu früher Start mit der Geige für negative Auswirkungen haben?

Wenn ein Kind für seine eigene geistige und körperliche Entwicklung zu früh beginnt, Geige zu spielen, kann es durch die fehlenden Erfolgserlebnisse und Motivation 

• zu einem ungünstigen, negativ besetzten Bezug zur Geige und allgemein zur Musik, 

• und noch viel viel schlimmer, zur Beeinträchtigung der Selbstsicherheit führen.

In dem Fall empfindet das Kind den Geigenunterricht möglicherweise viel zu anstrengend und ermüdend. Dabei ist es überhaupt nicht seine Schuld! Seine Konzentration hält eben altersbedingt noch nicht so lange, wie das selbst eine kurze, spielerische Unterrichtseinheit erfordern würde. Auch die Haltung des Instruments und das Stehen kann ihm schwierig vorkommen. Vielleicht ein Jahr später, mit längeren Fingern und mit einem stärkeren Rücken schaut es ganz anders aus…

Trotzdem können zu junge EinsteigerInnen – bewusst oder unbewusst – zu folgenden Schlüssen kommen:

„Geige zu spielen ist (zu) schwierig.“

„Ich will es gar nicht.“

„Ich bin nicht gut genug dafür.“

„Ich kann es nicht.“

Das ist sehr schädlich, daher: lieber ein bisschen warten, als zu früh zu beginnen! Meiner Erfahrung nach hat ein normal entwickeltes, gesundes Kind ab dem fünften oder sechsten Lebensjahr sehr gute Chancen, die mentalen und physischen Anforderungen des Geigenspiels so zu meistern, dass der Spaß und musikalische Kreativität auch nicht zu kurz kommen. Und in diesem Alter hat man auch definitiv noch nichts Lebenswichtiges „verpasst“, selbst wenn Musik in einigen Fällen später ein Beruf werden sollte.

Bis zum richtigen Zeitpunkt für das Geigenspiel…

… gibt es zum Glück jede Menge Möglichkeiten, den Kontakt zum Instrument und zur Musik auszubauen. Ein paar Ideen:

• Das tägliche Singen mit Eltern und Grosseltern ist von unschätzbarem Wert.

• Regelmässiges Musikhören von qualitativ guten CDs oder im Radio baut Musik unmerkbar in das tägliche Leben des Kindes ein.

• Nach Möglichkeit in einer musikalischen Früherziehungsgruppe mitmachen.

• Mittlerweile werden in den meisten Städten Kinderkonzerte, Veranstaltungen mit Moderation, jede Art Einführungen angeboten. Die Kleinen erleben hier musikalisch spannende Momente, die oft auch für die Vorstellungskraft beflügeln. Außerdem wirkt es, andere Kinder im Publikum zu sehen, die sich auch für klassische Musik interessieren, zusätzlich positiv. 

• Die Buchhandlungen und in Büchereien sind ganz hervorragend konzipierte Bücher zu musikalischen Themen erhältlich. Einzelne Musikstücke werden vereinfacht und für Kinder illustriert, Ausgaben in denen Instrumente oder Komponisten vorgestellt werden usw. führen die Kleinen in die Welt der Musik ein und leisten dabei unmerkbar einen wertvollen Beitrag zum  motivierten Geigenspiel in der Zukunft…

Selbst wenn es für die Violine noch zu früh ist, lohnt sich auf jeden Fall, den Kontakt der Kinder zur Musik zu pflegen!