Mein grauenvollstes Lampenfiebererlebnis mit der Geige und meine Learnings daraus

Herzklopfen. Herzrasen. Dann Verwirrung. Durch die Türspalte habe ich ca. 20 Personen gesehen, alle mit der Geige und mit einem Stapel Noten in der Hand. Oh ja, klar, ich muss im falschen Zimmer gelandet sein. Nope. Es war definitiv das richtige Zimmer. Und der Horror hat begonnen.

Madrid, 2011. Mein Erasmus Austauschjahr als Musikstudentin hat gerade begonnen. Ich hatte eine hübsche Miniwohnung gemietet, ein paar Tapas Bars entdeckt und war voller Neugier was das Jahr für mich am Conservatorio und gleichzeitig im Symhonieorchester bereithielt. 

Eine der Lehrveranstaltungen die ich als Erasmus-Studentin an der dortigen Musikuni absolvieren wollte, war das Fach Orchesterliteratur. Hier perfektionieren NachwuchsgeigerInnen besonders schwierige Ausschnitte aus Orchesterstücken, die sie dann bei Probespielen (quasi Jobinterviews bei Symphonieorchestern) überzeugend liefern müssen.

In meiner Studienrichtung in Wien war es damals Teil der ganz gewöhnlichen Geigenstunden. Meine damalige Professorin hat mit uns StudentInnen gemeine, halsbrechsrische Parts von R. Schumann, R. Strauss, A. Bruckner, W.A. Mozart, F. Mendelssohn usw. zu zweit, im Rahmen der normalen Solostunden erarbeitet. Das war mein Bild von Orchesterliteratur

Demenstprechend entspannt, jedoch neugierig schlenderte ich durch die stimmungsvollen Gassen zum ersten Termin in Orchesterliteratur. Ich wusste, wie der Prof. heisst und wo sein Unterrichtsraum ist. Angeklopft, geöffnet und erstarrt. Denn wie vorhin beschrieben, sah ich diese kleinere Armee von GeigerInnen vor mir. Alle Augen wurden auf einen jungen Burschen vor dem Notenpult gerichtet.

Es kam mir erst Spanisch vor, dann habe ich es aber schnell gecheckt. Die Spielregel hier waren offenbar etwas anders:

Einer wird vom Prof. unterrichtet, und zig KollegInnen hören zu.

Die Panik vor dem Vorspiel

Wie gerne wäre ich eine Ameise gewesen, die sich schlicht und einfach totstellen kann, wenn´s einmal zu blöd wird… Ging aber leider nicht, sie haben mich sehr wohl registriert. 

Nach einer herzlichen Begrüssung war es soweit. Ich musste vorspielen. Und es hat sich furchtbar angefühlt. 

Wieso? KollegInnen vorzuspielen gehört zu den härtesten Disziplinen in der Ausbildung zum Profimusiker. Denn jeder weiss haargenau, in welchem Takt welche Schwierigkeiten lauern.

Dazu kamen die Tatsachen, dass ich vollkommen neu war, weder den Prof noch die Zuhörer kannte und damals in der Landessprache gerade mal ein Bier bestellen konnte. 

Plötzlich hatte ich mit der Angst zu tun. Mit höllischer Angst. Wovor?

Fehler zu machen.

Nicht so gut zu sein wie die anderen.

Mich zu „blamieren“.

(Mein Hintergrund: meine damalige Professorin in Wien war in vielen Hinsichten eine hervorragende Pädagogin, die ich sehr geschätzt habe. Aus den Klassenkonzerten hat sie jedoch eine riesige Sache gemacht. Es war mit viel Stress und Druck verbunden – wir hatten teils ein internes Vorspiel wo man entsprechend „gut“ spielen mussten um am offiziellen, öffentlichen Klassenkonzert auftreten zu dürfen. Man musste sich die Chance erspielen, gefühlt erkämpfen. Es hatte was Verkrampftes. Professionalität war gefragt, was sehr gut und wichtig war. Von Vetrauen, oder Fehlern einen Raum geben, sich Fehlern stellen zu dürfen – davon war aber keine Spur. Nach Jahren in diesem Umfeld hatte auch kaum mehr Vertrauen zu mir.)

Und so kam es, dass ich in Madrid plötzlich irrsinnig aufgeregt wurde, mein Magen war klein wie eine Nuss, ich konnte nicht mal wirklich die Leute anschauen, die flache Atmung hat gefühlt nur fürs Überleben gereicht…

Das Absurde am Lampenfieber beim Vorspielen…

Wir alle wissen doch: beim Geigenspiel sind bis dato noch relativ wenige Menschen ums Leben gekommen. Und trotzdem, hatte ich einfach Angst.

Ich war keine Anfängerin. 

Sachlich gesehen war ich mehr als gerüstet für diese Situation. Nach

  • einer (schon damals) langen Ausbildung,
  • zig Konzerten als freiberufliche Musikerin,
  • drei bestandenen Zulassungsprüfungen an Musikuniversitäten in drei 3 Ländern,
  • gewonnenen Probespielen zunächst im Jugendorchester, dann aber auch im Profiorchester, nur 20 Minuten weiter von obiger Szene, im Teatro Real,
  • mit meinem Vertrag in der Hosentasche, mit dem aktuellen Dienstplan in meinem E-Mail-Postfach…

Objektiv gesehen war ich zum Zeitpunkt durchaus in der Lage, im professionellen Umfeld passabel Geige zu spielen. 

Subjektiv – und darum geht´s hier – ging´s mir elend schlecht. 

  • Ich hatte Angst während des Spiels in ein Blackout zu haben.
  • Ungenau zu werden.
  • Die Bogenhand hat gezittert
  • Ich wollte nur, dass es vorbei ist. 

Aber es war eine dieser Situationen, wo man immer so schön erbaulich meint: „Tja, da muss man durch!“ Ich bin durch, es war aber innerlich ein purer Horror.

Nachher…

… hat der Prof. ziemlich angetan gewirkt und ein paar gute Tipps gegeben. Es war ein stinknormaler, gesunder Instrumentalunterricht. Ohne jegliche Bedrohung oder Gefahr

Am Abend waren wir mit den dortigen Mitstudis ein Bier trinken und haben natürlich viel geredet. Erstaunt habe ich festgestellt, dass die KollegInnen mein Spiel gar nicht schlecht – im Gegenteil, eigentlich sehr gut gefunden haben. 

Noch mehr: ich bin daraufgekommen, dass manche in diesem wöchentlichen Training sogar nach Monaten immer noch super nervös waren. 

Anderen ging´s ja ähnlich! 
Andere hatten je ähnliche oder die gleichen Struggels wie ich! 
Andere sind auch nicht perfekt! 

Verblüfft. Erleichtert. Verwirrt. Doch etwas zufrieden. Das waren glaube ich die wichtigsten der Gefühle im Moment. Aus diesem Aha-Moment habe ich später oft Kraft schöpfen können.

Die beste Lampenfieberbekämpfung ever…

Das ganze Jahr hatte ich jede Woche einmal diesen Unterricht. Ganz schön viele Termine also. Wir haben immer selbst gespielt und dann andere zugehört. Es war ein nettes Durchhaus irgendwie im Zimmer. 

Anfangs ging´s mir mit der Nervosität ähnlich. Dann bin ich immer sicherer geworden

Im Frühjahr habe ich mich sogar auf diese Stunden gefreut! 

Es war das beste, effizienteste Training gegen Lampenfieber, das ich jemals hatte. Warum?

1. Vorspielen ist von einem imaginären, unbekämpfbaren Monster zum daily business geworden. 

2. Vorspielen war nach wie vor ein „auf Knopfdruck liefern müssen“, es hat aber plötzlich einen sicheren Rahmen bekommen. Später in gewöhnlichen Vorspielsituationen ohne diesen sicheren Rahmen konnte ich dem Druck viel besser standhalten.

3. Vorspielen ist von etwas Emotionalem, das an der Person nagt zu etwas Fachlichem geworden. Ich konnte meine Gefühle immer mehr heraushalten. Dadurch wurde der Kopf immer klarer und ich konnte besser, freier Geige spielen.

Warum ich das dir erzähle?

Weil der Umgang mit Ängsten genauso zum Geigenspiel dazugehört wie das Training von zehn Fingern. Und wenn es in meinen Geigenstunden Platz bekommt, soll es auch auf meinem Geigenblog Raum dafür geben. 

Weil es wichtig ist, von den Schwierigkeiten und (gefühlten oder realen) Misserfolgen zu sprechen, auch im Bezug auf die Geige.

Weil in der Probestunde oder im Sommerkurs viel zu viele junge GeigerInnen von ihrem Lampenfieber und dessen fatalen Auswirkungen berichten. 

Meine Learnings aus meinem schlimmsten Erlebnis mit Auftrittsangst

1. Ich habe es überlebt! Mehr noch, ich habe sogar sehr viel davon mitnehmen können. Aber dafür muss ich mich hinstellen und es einfach tun. 

2. Wenn ich meine Leistung subjektiv ganz schrecklich finde oder wenn es mir dabei schlecht geht, kommt es da draußen möglicherweise/wahrscheinlich/sicher gar nicht schrecklich an.

3. Alle sitzen im gleichen Boot. Du bist nicht allein mit deinem Problem.

4. Man kann lernen, mit Auftrittsangst umzugehen.

Mein bester Rat gegen Nervosität beim Vorspielen 

Spiel anderen so oft wie möglich vor! Nutze jede auch noch so kleine MöglichkeitUnd wenn du keine oder zu wenige „echte“ Möglichkeiten hast, dann hol doch deinen Hund, das Aufnahmegerät oder stell eben drei Teddybären in einer Sitzreihe auf und los geht´s. Es wird besser! 

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